Frauenwaldau im Krieg

Bis weit in das vorletzte Kriegsjahr hinein blieb unsere nähere Heimat von unmittelbaren Kriegseinwirkungen verschont. Das änderte sich, als die Front im Osten bedrohlich nähergerückt war und Luftangriffe sowjetrussischer Flugzeuge auf Breslau erfolgten. Der erste von ihnen fand Anfang Oktober in den frühen Abendstunden statt. Die Wetterlage ermöglichte eine gute Fernsicht, und so konnten wir von Frauenwaldau aus das furchteinflößende, aber auch faszinierende Geschehen am fernen Horizont im Süden von unserem Dorf verfolgen. Es lief wie ein Stummfilm vor unseren Augen ab, da wegen der Entfernung von etwa 35 Kilometern Luftlinie bis Breslau kein Laut von dem dabei entstandenen Kampflärm an unsere Ohren drang. Wir sahen nur das Aufleuchten der Mündungsfeuer der Luftabwehrgeschütze und den Feuerschein explodierender Bomben sowie in der Luft das Aufblitzen von zerberstenden Flak-Granaten und die umhertastenden Lichtstrahlen der Suchscheinwerfer. Zusätzlich erhellt wurde der Himmel über unserer Landeshauptstadt noch von dem Licht der von den angreifenden Flugzeugen abgeworfenen Markierungsfeuer, verharmlosend im Volksmund "Christbäume" genannt.

Nachdem wir wie gebannt dem feurigen Schauspiel einige Zeit zugesehen hatten, vernahmen wir das sich nähernde Geräusch eines unbeleuchteten Flugzeuges. Wir schenkten ihm, als es auch schon über uns war, wenig Beachtung. Zu diesem Zeitpunkt hielten wir uns auf der Straße zwischen der Gastwirtschaft Kempe und dem Bauern Schulze auf. Wir, das waren einige Leute aus den umliegenden Häusern mit ihren Kindern und meine Mutter mit meiner Schwester und mir. Uns zugesellt hatten sich junge Frauen vom Unternehmen Bartold, die in einem Raum der ehemaligen evangelischen Schule gegenüber von Kempe untergebracht waren. Nicht ahnend, in welcher Gefahr wir uns befanden, unterhielten wir uns über das, was weitab von uns geschah. Urplötzlich erschütterte eine gewaltige Detonation die Luft, und wir stürzten, als wir den ersten Schock überwunden hatten, auf ein nahegelegenes Feld. Das Flugzeug, das immer noch über uns kreiste, brachten wir nun im Verbindung mit dem vermutlichen Bombenabwurf, der uns so in Schrecken versetzt hatte. Jedesmal, wenn wir annahmen, es wäre genau über uns, rief jemand aus unserer Gruppe: "Hinlegen!". Wir hockten uns sofort hin oder legten uns flach in den vom Abendtau feuchten Klee, in den wir uns unbewußt geflüchtet hatten.

Wir waren nicht die einzigen, die es aus Furcht, es könnten weitere Bomben fallen, ins Freie getrieben hatte. Von einem etwas weiter entfernt gelegenen Bauerngehöft konnte man hören, sehen konnten wir wegen der herrschenden Dunkelheit nichts, wie dort ein Pferdefuhrwerk, von dem verhalten klingende Stimmen zu uns herüberdrangen, auf's Feld fuhr. Die Angst von uns und den anderen war im Grunde genommen unbegründet, da das Flugzeug vermutlich einen sogenannten Notabwurf getätigt hatte und nur eine Bombe an Bord gehabt haben dürfte, was wir jedoch nicht wissen konnten. Als wir an dem sich entfernenden Motorengeräusch des Fliegers zu erkennen glaubten, daß uns von ihm keine Gefahr mehr zu drohen schien, wagten wir uns auf die Straße zurück und gingen eilends nach Hause.

Am nächsten Tag erfuhren wir, wo die Bombe eingeschlagen war und wie es zu ihrem Abwurf wahrscheinlich gekommen ist. Demzufolge soll in der Nähe von Kuhbrück ein Fuhrmann mit nicht abgedecktem Licht an seinem Fahrzeug unterwegs gewesen sein. Was die Bomberbesatzung hinter der sich bewegenden Lichtquelle vermutet haben könnte, läßt sich nur erahnen. Jedenfalls hat sie darin offensichtlich ein Ziel gesehen, auf das es sich zu lohnen schien, ihre tödliche Fracht abzuwerfen. Zum Glück des Fahrzeuglenkers ging sie soweit von ihm nieder, daß er unbeschadet blieb und wie wir mit dem Schrecken davonkam. Durch die Explosion der Bombe war ein Loch von beträchtlichen Ausmaßen im Erdboden entstanden, und das, bis es zugeschüttet worden ist, Neugierige aus der näheren und weiteren Umgebung anlockte.

Weit mehr als der einmalige und zufällige Bombenabwurf in unserer Gegend beunruhigte die Menschen bei uns das unaufhaltsame Vorrücken der sowjetrussischen Armee. Im Gegensatz zu der Bombardierung Breslaus, die wir nur als augenblickliche Bedrohung empfunden hatten, löste das Kriegsgeschehen im Osten bei uns eine bleibende Angst vor dem Kommenden aus. Bei den Frauen war sie besonders groß. Sie sahen alles wirklichkeitsnaher als die Männer, die noch zu Hause waren. Wie berechtigt die Befürchtungen der Frauen waren, zeigte sich einige Zeit später, als die Räumung der gefährdeten Gebiete erfolgte und die Menschen versuchten, überwiegend mit Trecks den vordringenden feindlichen Truppen zu entkommen. Diese Maßnahme wurde bedauerlicherweise bedeutend zu spät getroffen und mußte deswegen von vielen unserer Landsleute bitter bezahlt werden. Für die, die überlebt haben, wird der Krieg mit seinen schrecklichen Folgen unauslöschlich im Gedächtnis bleiben und sollte von ihnen als abschreckende Mahnung an die späteren Generationen weitergegeben werden. Dazu sollte auch die Erinnerung an die annähernd 150 Kriegstoten aus unserem Dorf, der überwiegende Teil von ihnen Soldaten, beitragen.

(Quelle: Kreis Trebnitzer Heimatzeitung Nr.1/97, Bericht - auszugsweise - von Armin Bloens)

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